Zwischen Eifer und Scheu – über Freundschaft und den Mut, Lesen und Schreiben zu lernen
Rezension: Grundbildungszentrum Berlin
Der Roman „Geheimsache! WortMUT“ ist etwas Besonderes, weil er mit dem Protagonisten Clemens Bischof in die Gedanken eines gering literalisierten Erwachsenen eintaucht.
Noch einmal umziehen? Das käme Clemens nicht mehr in den Sinn. Nach dem Tod seiner Frau findet er Trost in Vertrautem und Gewohntem. Bloß nicht auffallen, so lautet Clemens Devise. Diese Sorge plagt ihn umso mehr als die 84-jährige lebenslustige Margarethe Berggruen nebenan einzieht. Plötzlich gerät alles durcheinander: Clemens geordneter Alltag, seine Gedanken-, seine Gefühlswelt. Die Angst, als funktionaler Analphabet erkannt zu werden, hält ihn immer wieder zurück. Doch während Clemens noch hin- und hergerissen ist, hat Margarethe schon längst beschlossen, ihm zu neuem Glück zu verhelfen. Zögerlich öffnet er sich, macht sich gleichzeitig aber auch verletzlich …
Clemens und Margarethe: Betroffener und Vertrauensperson
Auf etwa 220 Seiten tauchen die Leser:innen abwechselnd in die Gedankenwelt von Clemens und Margarethe ein. Dabei wachsen einem beide Protagonisten schnell ans Herz. Oft ist man selbst zwiegespalten zwischen Margarethes gut gemeintem Eifer und Clemens nachvollziehbarer Scheu. Autorin Sonja Sternitzke gelingt es auf unterhaltsame und mitunter auch spannende Weise, die Entwicklung von Freundschaft und wachsendem Mut nachzuzeichnen. Gleichzeitig zeigt sie, wie wichtig vertrauensvolle Beziehungen für Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten sind und wie die Ansprache und Motivation funktionieren kann: mit dem richtigen Maß an Behutsamkeit und Hartnäckigkeit. Clemens als Betroffenen begegnet die Autorin mit Respekt und räumt mit Vorurteilen eines unintelligenten, gesellschaftlich abgehängten Menschen auf. Nicht zuletzt bringt sie dabei mehrmals Zahlen und Fakten zum Thema unter.
Aufklärung in der Romanwelt:
Mit „Geheimsache! WortMUT“ trägt Sonja Sternitzke ein Stück zur Aufklärung über geringe Literalität bei. So schafft sie auch in der Romanwelt mehr Bewusstsein für das Thema. Daneben macht sie Lust auf Sprache dank plattdeutschen Passagen, auf das beschauliche Iserlohn im Sauerland und auf frischgemahlenen Kaffee.
Klare Leseempfehlung!